Star Trek - The Next Generation: 69
"Hollow Pursuits" (Der schüchterne Reginald)

Hauptseite
Staffel3
68: "Tin Man"
70: "The Most..."
US-Erstsendung:
28.4.1990

ZDF-Erstsendung:
3.8.1993

Regie:
Cliff Bole

Drehbuch:
Sally Caves

Gaststars:
Dwight Schultz
als Lt. Reginald Barclay

Charley Lang
als Lt. Duffy

Colm Meaney
als Lt. O'Brien

Inhalt:

SzenenbildReginald Barclay ist einer von Geordis diagnostischen Ingenieuren – ein Außenseiter, der im Holodeck Zuflucht findet. Barclays Realitätsflucht wirkt sich aber auf seine Leistung aus, so dass Picard die Anweisung gibt, ihn irgendwie in die Gemeinschaft des Schiffs einzubeziehen: Barclay soll die Gelegenheit erhalten, einen positiven Beitrag zu machen. Die schwierige Aufgabe fällt Geordi zu, der nun eine von Barclays Phantasiewelten besucht und dabei nichts Geringeres vorfindet als Simulationen von sich selbst und seinen Kollegen: Im Holodeck sind Picard, Data und Geordi raufende Haudegen, die im Fechten nichts gegen Barclay auszurichten haben, Troi ist die Göttin der Einfühlung (und Barclays Geliebte), Riker ein unfähiger Angeber.

Bald zeigen sich auf dem Schiff Fehlfunktionen, die auf keinen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Die Situation wird ernst, als die Enterprise plötzlich zu beschleunigen beginnt und droht, sich selbst auseinander zureißen. Barclay hat die entscheidende Idee: eine seltene Chemikalie geriet durch Zufall an die Hände der Ingenieure und wurde so von einem System zum anderen geschleppt. Nachdem der Stoff bestimmt wird, weiß man, dass er bei sehr tiefen Temperaturen inert wird. Die betroffenen Systeme werden deshalb abgekühlt, und das Schiff kommt wieder unter Kontrolle. Barclay hatte die Möglichkeit zu einem positiven Beitrag – einem ersten Schritt zurück zur Gemeinschaft.

Kommentar:

Dies ist eine exzellente Episode, die ich immer wieder neu entdecke. Sie ist einer meiner langjährigen Favoriten. "Hollow Pursuits" erschafft mit Reginald Barclay eine der beliebtesten und bekanntesten Nebenfiguren der Serie. Die Geschichte ist außerdem thematisch dicht beladen: Es geht hier um Realitätsflucht, ein beliebtes Thema der Serie; und es ist ein intelligenter Beitrag über die Gruppe und den Außenseiter. Wie fast alle guten Episoden ist "Hollow Pursuits" eine kurzweilige, einfallsreiche, witzige und vor allem menschliche Geschichte. Sie strahlt viel Wärme aus und überzeugte mich erneut von der Langlebigkeit der Serie. "The Next Generation" wird vielleicht als großer Klassiker des Fernsehens noch jahrzehntelang gesehen werden: sichtlich gealtert, und doch unübertroffen in vieler Hinsicht.

Die Realitätsflucht wird hier mindestens zum dritten Mal in dieser Season thematisiert: Sie war eines der wichtigen Merkmale der Religion, die in "Who Watches the Watchers" (dt.: Der Gott der Mintakaner) so kräftig verurteilt wurde. Das Thema war auch in "The Bonding" (dt.: Mutterliebe) wichtig: Die Begegnung mit der Trauer wurde jeder noch so bequemen Illusion vorgezogen. Eine Person, die sich an der Welt nicht beteiligt, ist in den Augen der Serie nicht nur ein Verlust für die Gemeinschaft (wie unten besprochen), sondern darüber hinaus auch unfähig, sich selbst so weit wie möglich zu entwickeln. Selbstentfaltung scheint der Serie sehr wichtig zu sein, wenn man sieht, auf wie viele Weisen sich die Hauptfiguren im Verlauf der nächsten Jahre künstlerisch und intellektuell betätigen (vgl. "Evolution", dt.: Die Macht der Naniten). Realitätsflucht ist nach dieser Auffassung schädlich sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gemeinschaft. Barclay ist die Verkörperung der übertriebenen Realitätsflucht. Aber wohlgemerkt: Barclays Problem ist eben die übertriebene Flucht: Denn wie immer beweist die "Next Generation" große Ausgeglichenheit mit der Einsicht, dass die Realitätsflucht in gewissem Maß nicht nur harmlos, sondern sogar gesund sein kann ("therapeutisch" in Geordis Worten).

Wie wir schon einige Male während der Season bemerkt haben, hat die Serie einen großen Respekt vor der harmonischen Gemeinschaft: In "Déjà Q" gewinnt man sogar den Eindruck, nichts sei bedeutender für das Menschsein als das Funktionieren innerhalb einer Gemeinschaft – denn darin lag Qs großes und bedeutendstes Versagen als Mensch. Zwei weitere Beispiele: Der Wissenschafter in "Evolution" ist als Einzelgänger dysfunktionell; "Tin Man" vereint zwei Personen, die zuvor alleine und deshalb unerfüllt waren.

(Die obigen Beispiele sind mir wichtig für die Besprechung von "Hollow Pursuits", aber der Einzelne und die Gemeinschaft stehen in der dritten Season ständig im Dialog; ich erlaube mir deshalb noch ein paar Beispiele in Klammern. "The Defector" (dt.: Der Überläufer) ist eine Geschichte über einen Romulaner, der glaubt, er könne seinem Reich (also seiner Gemeinschaft) am besten dienen, indem er es verrate; hier scheint der Einzelne nobel über der Gruppe zu stehen. "The Hunted" (dt.: Der Gejagte) handelt von einzelnen Bürgern, die ihrer Gesellschaft dienten und dann von ihr verraten wurden; es erstaunt wohl nicht, dass die kränkliche Gesellschaft in dieser Folge letztlich nicht in die Föderation aufgenommen wurde, bis dass sie ihre Probleme lösen kann. Das Experiment in "Allegiance" (dt.: Versuchskaninchen) interessiert sich ausdrücklich dafür, wie Individuen als Gruppe arbeiten können.)

In "Hollow Pursuits" ist Barclay der Außenseiter und muss im Verlauf der Episode in der Gemeinschaft einbezogen werden, alleine, wie oben erwähnt, um seiner eigenen Selbstentfaltung Willen. Vor dem Hintergrund von "Déjà Q" könnte man sogar sagen, erst dadurch werde Barclay ein ganzer Mensch – unversehrt, heil. Aber das könnte auch noch eine geringere Serie erzählen, es ist tatsächlich einigermaßen banal. "The Next Generation" beweist hier jedoch ein hoch entwickeltes gesellschaftliches Verständnis, indem sie einsieht, dass der Außenseiter auch Sache der Gruppe ist – die übliche Tendenz ist die, den Außenseiter für seine Situation verantwortlich zu machen und ihn damit noch weiter ins Abseits zu drängen. Genau das verhindert aber Picard, in dem er Geordi anweist, Barclay um jeden Preis zu integrieren. Letztlich ist es ein gegenseitiger Gewinn. Mitunter liegt darin der Reiz des "Star Trek Universums": Jede Person findet einen Platz in der Gemeinschaft. (Es wird natürlich alles sehr viel schwieriger, sobald ein Außenseiter diese Rolle freiwillig einnehmen will und darauf besteht, wie beispielsweise Ro Laren in den letzten drei Seasons – mehr dazu also in späteren Besprechungen.)

Ich kommentiere selten über Darsteller, nicht zuletzt deshalb, weil es mir oft schwer fällt, ihren Beitrag abzuschätzen. (Ist es einfach ein gutes Drehbuch? Ist es ein guter Regisseur?) Dwight Schultz trug aber ohne Zweifel sehr viel zu seiner Rolle bei und half mit, eine der bekanntesten Nebenfiguren der Serie zu schaffen. Ich kaufe ihm ab, was in ähnlichen Geschichten oft misslingt: Dass er zwei Gesichter hat, ein öffentliches und ein privates. Ich glaube ihm, dass er Riker nicht in die Augen schauen kann, aber ich finde auch die Szene völlig natürlich, als er auf seine Troi zu stürmt, sie umarmt und küsst. Die Figur überzeugt, und man denkt nie: Wenn er nur wollte, könnte er genau so selbstsicher auch in der Realität auftreten. Oder anders gesagt: Nie habe ich den Eindruck, dass Barclay nur die dicke Hornbrille abnehmen und sich eine ordentliche Frisur leisten müsste, um dann genau so hübsch wie alle anderen Mädchen zu sein.

"Hollow Pursuits" ist in einer Hinsicht ein Außenseiter unter den sehr guten Folgen: Sie konzentriert sich nicht auf eine der Hauptfiguren, sondern auf eine Gastfigur. Dass die Episode dennoch einen so bleibenden Eindruck hinterlässt und auch nach Jahren noch überzeugt, lässt sich allerdings leicht erklären.

Erstens ist Reginald Barclay eine der besten Identifikationsfiguren der ganzen Serie. Man interessiert sich für diesen "Broccoli", weil es wohl kaum einen Zuschauer gibt, der sich nicht irgendwie in dieser stotternden, tollpatschigen, unsicheren Figur wiedererkennt. Ich will hier nicht behaupten, eine Serie brauche langfristig vor allem Identifikationsfiguren, denn "The Next Generation" hätte sie sicher nicht – wenn überhaupt, dann hat sie Figuren, die man als Ideal anstreben kann. Aber es würde mir wohl niemand widersprechen, wenn ich behaupte, dass es ein sehr menschlicher Trieb ist, die Seite des Unterhundes zu ergreifen; um so mehr natürlich, wenn man sich in ihm erkennt.

Zweitens ist dies nicht der letzte Auftritt von Barclay, was rückwirkend einen Einfluss haben muss: Er taucht noch zweimal auf und ist damit eher eine wiederkehrende Figur als "nur" eine Gastfigur.

Drittens ergibt sich nun schon eine Auswirkung der besseren Charakterisierung, die ich in "Evolution" (dt.: Die Macht der Paragraphen) angesprochen habe: Die Hauptfiguren sind inzwischen schon so viel besser entwickelt als noch zu Beginn der Season, dass sie der Serie ein Anker sind. Auch wenn die Hauptfiguren in einer Folge nicht selbst im Rampenlicht stehen, interessieren wir uns halt doch für das, was mit ihnen geschieht, weil sie ja gewissermaßen alte Bekannte sind.

Und schließlich viertens: Es ist eben doch in gewisser Weise eine Episode über die Hauptfiguren, denn wir sehen sie hier aus einer fremden Perspektive, aus der Sicht eines niederen Offiziers – ein Ansatz, der in der siebten Season mit "Lower Decks" (dt.: Beförderung) ins Extrem getrieben wird. Es ist ungeheuer spaßig, Barclays Wahrnehmung der Hauptfiguren zu teilen: Riker als aufgeblasener Anfänger, über den man hinter seinem Rücken lacht ("nothing but a bag of hot air", wie Barclay im Vorspann sagt); Wesley als Kuchen essender, verwöhnter Aristokrat, dem alles geschenkt wird (obwohl er selbst nichts tut); und natürlich Troi als luftige Göttin der Einfühlung (ich kann gut nachvollziehen, dass sich dieses Bild im Kopf eines einsamen Mannes auf der Enterprise festsetzen könnte). Wir haben damit auch ein weiteres, wenn auch nicht besonders tiefgründiges Beispiel der "Charakterisierung durch Identitätsverlust", die ich im Kommentar zu "Yesterday's Enterprise" (dt.: Die alte Enterprise) ausgeführt habe.

Nicht zuletzt beweist "Hollow Pursuits" ein weiteres Mal, dass die denkwürdigsten Szenen nicht die größten Explosionen enthalten – auch, und besonders, in der Science Fiction. Diese Tatsache war den Autoren späterer Inkarnationen von "Star Trek" deutlich weniger bewusst als jenen der "Next Generation", die (wie wir schon so oft in diesem Guide erwähnt haben) stets an den Menschen und den Themen einer Geschichte interessiert waren. (Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist eine der eindrücklichsten Szenen der ganzen Serie. Sie stammt aus dem zweiten Teil von "The Best of Both Worlds" (dt.: Angriffsziel Erde) und zeigt nicht eine Raumschlacht, sondern die Trümmer einige Stunden nach dem Ereignis – wir sind aufgefordert, die menschliche Tragik hinter, nicht die Aufregung während der Schlacht zu bedenken. Einige Jahre später kehrte Michael Piller dazu zurück. Im Vorspann des Pilotfilms von "Deep Space Nine" ("Emissary", dt.: Der Abgesandte) sehen wir die letzten Minuten von einem der Schiffe, die an der Schlacht beteiligt waren – und zwar aus der Perspektive einer einzigen Person.) Die Autoren waren mit ihrem Ansatz so erfolgreich, dass selbst clever konstruierte Handlungen wie jene von "Hollow Pursuits" untergeordnet werden, zumindest in der Erinnerung der Zuschauer. Das zeigt sich in der Art, wie von den Episoden gesprochen wird. Leute beziehen sich auf "die Episode mit Barclay" oder "die Episode über die Holodecksucht", was für sich spricht.

Einfallsreichtum und hoher Stil sind zwei der prägenden Merkmale der dritten Season, was ich in der Besprechung zu "Evolution" ausgeführt habe. Beides ist in dieser Episode mindestens so wichtig wie die Figur Barclay oder irgendeines der Themen. Damit lässt sich leicht erklären, weshalb auch hier so viele der Szenen in der Erinnerung frisch bleiben: Barclays und Trois Kuss auf dem Holodeck (mit phänomenaler Musik), die Kampfszenen, der dreikäsehohe Riker, die Göttin der Einfühlung (in wehender Toga). Die Serie ist zudem oft perfekt, ohne damit groß aufzufallen, so beispielsweise im Vorspann dieser Episode: Wir sehen Barclay in kurzer Abfolge zuerst auf dem Holodeck, wo er Geordi nicht gehorcht und Riker den Arm umdreht; und dann erleben wir den öffentlichen Barclay, der vor Geordi nur Entschuldigungen stammelt und Riker nicht einmal in die Augen schauen kann.

Bemerkenswertes:

Der Titel "Hollow Pursuits" ist ein cleveres Wortspiel, denn Barclays Beschäftigung (engl. "pursuit") war sowohl "holo", also holographisch, wie auch "hollow", leer. "Hollow" teilt die übertragenen Bedeutungen von "leer", also auch "gehaltlos", "falsch", "substanzlos".

Der Schauspieler Dwight Schultz ist wohl am besten bekannt für seine Rolle als Murdoch in "The A-Team" – eine Serie, an die ich nur warme Erinnerungen habe. Schultz kehrt noch viermal als Barclay zur Serie zurück: In der vierten Season in "The Nth Degree" (dt.: Reise ins Ungewisse), zweimal in der sechsten, in "Realm of Fear" (dt.: Todesangst beim Beamen) und "Ship in a Bottle" (dt.: Das Schiff in der Flasche), und in der siebten Season in der Episode "Genesis".

Es bleibt erstaunlich, dass selbst die privatesten Holodeckszenarien von jedermann besucht werden können. Geordi und später Riker und Troi müssen keinerlei Sperre überwinden, bevor sie Barclays Programm besuchen. Dies entspricht aber auch dem, was wir schon aus "Manhunt" (dt.: Andere Sterne, andere Sitten) und "The Emissary" kennen (dt.: Klingonenbegegnungen).

Dieser Episode verdanken wir indirekt den Begriff "Holodiction" (aus holo- und addiction, dt.: Sucht). Er wird allerdings nicht in der Episode erwähnt.

Nitpicking:

Der Stuntman in der Fechtszene ist auch aus mehreren Metern Abstand ganz offensichtlich nicht Dwight Schultz. Die DVD ist in solchen Fragen natürlich gnadenlos.

Zitate:

Picard: "Try harder, Geordi. He's a member of your team. Try to find some way to allow him to make a positive contribution."

Troi: "I am the goddess of empathy. Cast of your inhibitions and embrace love, truth, joy." Sehr witzig! In der deutschen Synchro wurde "goddess of empathy" leider als "Göttin der sinnlichen Freuden" übersetzt. Falsch auf mehr als eine Weise. Erstens, weil "empathy" die englische Übersetzung der deutschen "Einfühlung" ist – darüber lässt sich nicht streiten. Zweitens, weil die Bedeutung verfälscht wird: Sinnlichkeit ist assoziiert mit Sex, Einfühlung hingegen mit Verständnis und Zuflucht. Letzteres charakterisiert Barclays Phantasien besser, ungeachtet der Tatsache, dass seine insgesamt sehr brav dargestellten Phantasien fraglos auch sexuelle Untertöne haben.

Guinan: "The idea of fitting in just repels me."

Barclay: "I shall speak with my sword, sir!" (Für einmal ist es die Ausgestaltung des Satzes, nicht der Inhalt, der mich jedes Mal lachen lässt, wenn ich ihn höre.)

Barclay: "I am the guy who writes down things to remember to say when there's a party. And then, when he finally gets there, he winds up alone in the corner, trying to look comfortable examining a potted plant."

Einschaltquoten vom Martin Seebacher:

Die Folge erzielte mit einem Rating von 10.2 den beinahe schon obligatorischen 3. Platz in den US-Syndication Charts.

In Deutschland erreichte die Folge im ZDF 1,15 Mio. Zuschauer. Die Sat.1 Erstausstrahlung (8.2.1994) erreichte gerade Mal 6 Monate später 1,51 Mio. Zuschauer bei einem Marktanteil von 16,4%.

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Letztes Update:
6. Oktober 2002

©2002 Rafael Scholl.