Inhalt:
Auf dem Planeten Akritiria werden Tom Paris und Harry Kim beschuldigt,
der Terrorgruppe "Open Sky" anzugehören und eine Trilithiumbombe gelegt
zu haben. Beide rutschen durch eine Röhre, die in einem dunklen Gefängnis
mündet. Kim wird sofort verprügelt, besonders der Gefangene Pit
hat es auf Kim abgesehen.
Paris meint, er habe gehört, dieses Gefängnis liege Hunderte
von Metern unter der Erde. Es gibt weit und breit keine Wächter, und
die Rutschbahn, offensichtlich der einzige Weg ins Freie, wird durch ein
tödliches Kraftfeld beschützt. Allen Gefangenen wurde eine Klammer
in den Kopf einoperiert, und Paris meint, daß diese Klammer in ihm
Nervosität erzeugt.
Das Essen wird über die Rutsche eingelassen, und die Insassen beginnen
sich darum zu prügeln. Der Gefangene Zio schlitzt einem Mithäftling
ohne Gefühlsregung die Kehle auf, um an Nahrung zu gelangen.
Janeway versucht vergeblich, vom Botschafter Liria den Verbleib ihrer
Leute zu erfahren. Als Liria schließlich Kriegsschiffe auf Janeway
hetzt, muß die Voyager sich zunächst zurückziehen.
Paris hat ein Rohr gefunden, das vielleicht als Isolierung für
ein Gerät dienen könnte, mit dem man das Kraftfeld deaktivieren
kann. Kurz darauf wird Paris von Pit mit einem Messer angegriffen und verletzt.
Kim schleppt den verletzten Paris zu Zio und bittet ihn um Hilfe. Zio möchte
die Stiefel von Paris. Doch Kim macht Zio ein anderes Angebot: Er will
ihn bei seiner Flucht mitnehmen. Zio ist einverstanden.
Janeway sucht inzwischen nach den echten Terroristen und findet einen
Frachter, auf dem sich Vel und seine 14jährige Schwester Piri befinden.
Als beide überführt sind, läßt sie Janeway kurzerhand
auf die Voyager beamen.
Zio erklärt, er habe eine Geistestechnik entwickelt, die ihn in
die Lage versetzt, die Klammer zu beherrschen, und er habe dies in seinem
Manifest niedergeschrieben. Nun habe die Klammer ihn stark gemacht. Kim
kann tatsächlich das Kraftfeld deaktivieren und kriecht die Rutschbahn
nach oben. Am anderen Ende ist eine dunkle Glasscheibe, und dahinter ist
das leere All. Das Gefängnis ist eine Raumstation.
Janeway bietet Liria an, die echten Terroristen gegen ihre Männer
zu tauschen, doch Liria ist daran überhaupt nicht interessiert. Also
läßt sie sich von Vel und Piri helfen, das Gefängnis aufzuspüren.
Mit Neelix' Raumschiff fliegen sie die Station an und befreien Kim und
Paris. Der Holodoc erkennt, daß die Klammer tatsächlich die
Aggressivität steigern sollte.
Kritik:
"The Chute" ist eine interessante Episode, in ihren Höhepunkten
hintergründig, literarisch und philosophisch, in ihren Schwachpunkten
übertrieben brutal, widersprüchlich und sogar lächerlich.
Die Gefangenen befinden sich im Urstadium der Entwicklung und sind nur
mit dem Trieb der Existenzsicherung beschäftigt. In dem Gefängnis,
das symbolisch für den Mikrokosmos einer barbarische Gesellschaft
steht, stechen zwei Figuren hervor. Kim, der versucht, mit wissenschaftlichen
Mitteln aus dieser Welt auszubrechen, und der Gefangene Zio, der die geistige
Kontrolle anstrebt und erst einmal zu lernen versucht, seine Triebe in
höhere Bahnen zu lenken. Zio glaubt, daß das Gefängnis
einem sadistischen Experiment dient, seine Theorie über die Klammer
ist zugleich eine Theorie über den Sinn seiner Existenz. Zio lernt,
die Klammer zu beherrschen, und in seinem Manifest entwickelt er eine Art
Religion, bei der es für ihn keine Unmoral mehr gibt, solange er sich
nur nicht von der Klammer überwältigen läßt. Diese
geistige Kontrolle und seine "Umwertung aller Werte" machen Zio zu eine
Art Übermenschen, wie ihn insbesondere der Philosoph Friedrich Nietzsche
beschrieben hat. Deswegen wagen sich die anderen Gefangenen auch nicht
an Zio heran. Die Antworten auf seine Fragen, die Zio im Manifest niederschreibt,
liegen daher für Zio auch nicht außerhalb des Gefängnisses,
sondern innerhalb seines Geistes. Kim ist dagegen überzeugt, die Erlösung
könne nur außerhalb des Gefängnisses gefunden werden, und
beim Ausbruch verwendet er allein wissenschaftliche Methoden.
"The Chute" greift auch das Gefangenendilemma von A.W. Tucker auf. Dieses
Dilemma handelt von zwei Gefangenen in zwei Zellen. Wenn sie kooperieren,
können sie sich befreien. Sie können sich auch gegenseitig verraten,
doch dann werden sie im Gefängnis bleiben. Wenn jedoch nur einer dem
anderen in den Rücken fällt, kommt nur der Verräter frei.
Was soll ein von Mißtrauen durchsetzter Gefangener tun?
Leider kam aber gerade das Gefangenendilemma in "The Chute" ein wenig
zu kurz. Ein paar klischeehafte Faustkämpfe weniger, ein paar Szenen,
in denen Harry zwischen Vertrauen und Mißtrauen hin und her schwankt
mehr, und es hätte der Episode gut getan. Andere literarische Anspielung
geben sich dann auch eher plump. So beschreibt der Romanklassiker "Im Westen
nichts Neues" von Erich Maria Remarque eine Szene, in der der schwerverwundete
Kemmerich ohne Aussicht auf Rettung im Lazarett liegt und von Müller
besucht wird. Müller ist voll ehrlicher Anteilnahme und denkt zugleich,
daß er sich Kemmerichs neue Stiefel sichern muß, sobald Kemmerich
gestorben ist. Die Existenzsicherung ist ein so mächtiger und nicht
abschaltbarer Trieb, daß selbst die größte und ehrlichste
Trauer diesen Trieb nicht unterdrücken kann. Leider ist dieser "Stiefelstreit"
seitdem in unzähligen Büchern und Filmen auf einer so flachen
Ebene und ohne die eigentliche Kernaussage in Remarques Roman wiederholt
worden, daß es inzwischen zum Klischee geworden ist. Und leider hat
auch "The Chute" nicht darauf verzichten wollen.
Das und die vielen Brutalitäten auf TV-Ebene sind letztlich auch
der Grund, weshalb "The Chute" seinen eigenen, offenbar sehr hohen Ansprüchen
nicht gerecht wird. Zu häufig verfällt die Episode in flache
und reichlich brutale, dafür aber umso substanzlosere Actionunterhaltung.
Enttäuschend ist auch das abrupte Ende der Beziehung Zio/Kim, die
dringend einen abschließenden Dialog erfordert hätte.
Ein weiteres Problem ist, daß "The Chute" nicht so recht zu Star
Trek paßt. Sehr vereinfachend betrachtet gibt es in der aussageorientierten
Science Fiction zwei Kategorien. Die negative Zukunftsversion und die positive.
Erstere findet man weitaus häufiger. Autoren wie Huxley oder Orwell
haben es meisterhaft verstanden, interessante Aussagen über die Menschheit
und das Individuum in einer negativen, erschreckenden Zukunftsvision aufzuzeigen.
Leider aber haben negative Zukunftsversionen den Nachteil, daß sie
sehr destruktiv sind. Sie zeigen uns, wie es nach Meinung des Autors nicht
kommen soll oder darf, sie liefern aber kein positives Vorbild, das dem
Leser vorführt, welches Verhalten nach Meinung des Autors nun das
erstrebenswerte wäre. Als Roddenberry Star Trek entwickelte, griff
er sehr bewußt zu der weitaus schwierigeren Variante: Mit einem idealistischen
Weltbild zeigte er uns die Vorzüge von Toleranz und gegenseitigem
Verständnis und sprach viele sehr philosophische Themen an, die er
zugleich unterhaltsam, jedoch ohne Substanzverlust, in fesselnde Unterhaltung
umsetzten ließ. Dieser Idealismus hat nichts, wie leider vielfach
behauptet, mit Naivität oder blindem Fortschrittsoptimismus zu tun.
Dieser Idealismus soll uns nicht weniger zum Nachdenken anregen als manche
gar düstere Zukunftsversion, die nichts als Unheil prophezeit.
"The Chute" ist eine ausdrucksstarke Folge, aber sie benutzt ein übermäßig
brutales Gesellschaftsbild, um ihre Aussagen zu treffen. Das paßt
leider nicht zu Star Trek. Genauso würde ein idealistisches Weltbild
in einer Verfilmung von "1984" stören. Und in einer Zeit, in der Star
Trek immer mehr an Einschaltquoten einbüßt, sollten sich die
Macher von Star Trek eher bemühen, wieder zu den idealistischen Wurzeln
zurückzukehren, denn die sind es nun mal, die Star Trek populär
gemacht haben. Die erschreckend niedrige Einschaltquote, die "The Chute"
in den USA hatte, spricht eine deutliche Sprache.
Die Szenen außerhalb des Gefängnisses können leider
allesamt nicht überzeugen. Aliens, die sich stur verhalten und Besatzungsmitglieder
eines Schiffes der Sternenflotte ins Gefängnis werfen oder sonstwie
bestrafen wollen, obwohl sie ganz offensichtlich unschuldig sind, das hatten
wir nun wirklich schon zu oft in Star Trek. Janeway verhält sich in
dieser Episode auch sehr fragwürdig. Mitleidlos bringt sie die Terroristen
in ihre Gewalt und hat auch keine Skrupel, ein 14jähriges Mädchen
an einen Terrorstaat auszuliefern, solange sie dadurch ihre eigenen Leute
freibekommt. Das Angebot der Terroristen, Kim und Paris mit Gewalt zurückzuholen,
lehnt sie aber ab, weil das gegen ihre Prinzipien verstoßen würde.
Genau das hat sie aber zum Beispiel in der Folge "Resistance" (dt.: Die
Resistance) getan, als sie Tuvok und Torres mit Gewalt aus dem Gefängnis
holte. Und auch hier entschließt sie sich später genau zu diesem
Schritt.
Besonderer Tiefpunkt ist die absolut unglaubwürdige Befreiungsaktion,
bei der das Schiff von Neelix zum Einsatz kommen durfte. Es ist nicht nachvollziehbar,
weshalb die Akritirianer so lange nichts gegen Neelix unternahmen.
Für die 47-Fans: Die Trilithiumbombe (dieses Trilithium scheint
ein erstaunlich vielseitiges Material zu sein) verursachte 47 (!!!) Tote.
"The Chute" ist die erste Episode, die für die dritte Staffel produziert
wurde. Alle bisherigen Episoden waren bereits im Rahmen der zweiten Staffel
gedreht worden. Dann wurden sie aber zurückgehalten, damit der Start
der neuen Staffel möglichst frühzeitig erfolgen konnte. Mitch
Suskin, der zuvor für "Babylon 5" und "Hercules" gearbeitet hatte,
ist ab der Episode "The Chute" Visual Effects Supervisor für "Star
Trek - Voyager". Das Schiff von Neelix, das hier erstmals zu sehen war,
sowie die Raumstation stammten komplett aus dem Computer. Die CGI-Effekte
wurden von der Firma "Digital Muse" erstellt, die auch etliche Computereffekte
für DS9 produziert.
Die Firma "Foundation Imaging" ist ab dieser Episode ebenfalls für
viele Tricksequenzen in "Star Trek - Voyager" verantwortlich. In monatelanger
Arbeit hatte "Digital Muse" das Modell der Voyager für den Computer
eingescannt und immer wieder so viele Details und Lichteffekte hinzugefügt,
bis am Ende wirklich kein Unterschied zwischen einer Voyager-Modellaufnahme
und der Computer-Voyager zu erkennen war. Die fertig gescannte Computer-Voyager
wurde ab dieser Episode von "Foundation Image" für die CGI-Effekte
benutzt. Im Verlauf der dritten Season wurden gar keine Modellaufnahmen
der Voyager mehr erstellt, alle Effekte im Zusammenhang mit der Voyager
stammten von nun an aus dem Computer.
Regisseur Les Landau leistete großartige Arbeit. Die klaustrophobische
Atmosphäre des Gefängnisses hat er perfekt eingefangen. Die Kampfszenen
wirken aber eher unnötig breitgewalzt, sie bewegen sich leider auch
auf ganz normalem TV-Niveau. Sie sind brutal genug, um zu verärgern,
zugleich aber viel zu harmlos, um wirklich zu schockieren. Großartig
inszeniert ist jedoch die Szene, als Kim langsam die Rutschbahn nach oben
kriecht. Regisseur Les Landau verließ nach dieser Episode das Star
Trek-Team. Er arbeitet in Zukunft für die Spielberg-Serie "High Incident".
In "High Incident" wird viel mit der Handkamera gearbeitet, und um als
Regisseur den Umgang damit zu üben hat Landau die Handkamera in "The
Chute" auffallend häufig eingesetzt.
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