Voy: 45
"The Chute" (Das Hochsicherheitsgefängnis)

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Staffel3
44: "Flashback"
46: "The Swarm"

szenenbild
US-Erstsendung:
18.9.1996

SAT1-Erstsendung:
15.5.1998

Regie:
Les Landau

Drehbuch:
Kenneth Biller

Musik:
Jay Chattaway

Kamera:
Marvin Rush A.S.C.

Gaststars:

Don McManus
als Zio

Robert Pine
als Liria

James Parks
als Vel

Ed Trotta
als Pit

Beans Morocco
als Rib

Rosemary Morgan
als Piri

Inhalt:

Auf dem Planeten Akritiria werden Tom Paris und Harry Kim beschuldigt, der Terrorgruppe "Open Sky" anzugehören und eine Trilithiumbombe gelegt zu haben. Beide rutschen durch eine Röhre, die in einem dunklen Gefängnis mündet. Kim wird sofort verprügelt, besonders der Gefangene Pit hat es auf Kim abgesehen.

Paris meint, er habe gehört, dieses Gefängnis liege Hunderte von Metern unter der Erde. Es gibt weit und breit keine Wächter, und die Rutschbahn, offensichtlich der einzige Weg ins Freie, wird durch ein tödliches Kraftfeld beschützt. Allen Gefangenen wurde eine Klammer in den Kopf einoperiert, und Paris meint, daß diese Klammer in ihm Nervosität erzeugt.

Das Essen wird über die Rutsche eingelassen, und die Insassen beginnen sich darum zu prügeln. Der Gefangene Zio schlitzt einem Mithäftling ohne Gefühlsregung die Kehle auf, um an Nahrung zu gelangen.

Janeway versucht vergeblich, vom Botschafter Liria den Verbleib ihrer Leute zu erfahren. Als Liria schließlich Kriegsschiffe auf Janeway hetzt, muß die Voyager sich zunächst zurückziehen.

Paris hat ein Rohr gefunden, das vielleicht als Isolierung für ein Gerät dienen könnte, mit dem man das Kraftfeld deaktivieren kann. Kurz darauf wird Paris von Pit mit einem Messer angegriffen und verletzt. Kim schleppt den verletzten Paris zu Zio und bittet ihn um Hilfe. Zio möchte die Stiefel von Paris. Doch Kim macht Zio ein anderes Angebot: Er will ihn bei seiner Flucht mitnehmen. Zio ist einverstanden.

Janeway sucht inzwischen nach den echten Terroristen und findet einen Frachter, auf dem sich Vel und seine 14jährige Schwester Piri befinden. Als beide überführt sind, läßt sie Janeway kurzerhand auf die Voyager beamen.

Zio erklärt, er habe eine Geistestechnik entwickelt, die ihn in die Lage versetzt, die Klammer zu beherrschen, und er habe dies in seinem Manifest niedergeschrieben. Nun habe die Klammer ihn stark gemacht. Kim kann tatsächlich das Kraftfeld deaktivieren und kriecht die Rutschbahn nach oben. Am anderen Ende ist eine dunkle Glasscheibe, und dahinter ist das leere All. Das Gefängnis ist eine Raumstation.

Janeway bietet Liria an, die echten Terroristen gegen ihre Männer zu tauschen, doch Liria ist daran überhaupt nicht interessiert. Also läßt sie sich von Vel und Piri helfen, das Gefängnis aufzuspüren. Mit Neelix' Raumschiff fliegen sie die Station an und befreien Kim und Paris. Der Holodoc erkennt, daß die Klammer tatsächlich die Aggressivität steigern sollte.

Kritik:

"The Chute" ist eine interessante Episode, in ihren Höhepunkten hintergründig, literarisch und philosophisch, in ihren Schwachpunkten übertrieben brutal, widersprüchlich und sogar lächerlich.

Die Gefangenen befinden sich im Urstadium der Entwicklung und sind nur mit dem Trieb der Existenzsicherung beschäftigt. In dem Gefängnis, das symbolisch für den Mikrokosmos einer barbarische Gesellschaft steht, stechen zwei Figuren hervor. Kim, der versucht, mit wissenschaftlichen Mitteln aus dieser Welt auszubrechen, und der Gefangene Zio, der die geistige Kontrolle anstrebt und erst einmal zu lernen versucht, seine Triebe in höhere Bahnen zu lenken. Zio glaubt, daß das Gefängnis einem sadistischen Experiment dient, seine Theorie über die Klammer ist zugleich eine Theorie über den Sinn seiner Existenz. Zio lernt, die Klammer zu beherrschen, und in seinem Manifest entwickelt er eine Art Religion, bei der es für ihn keine Unmoral mehr gibt, solange er sich nur nicht von der Klammer überwältigen läßt. Diese geistige Kontrolle und seine "Umwertung aller Werte" machen Zio zu eine Art Übermenschen, wie ihn insbesondere der Philosoph Friedrich Nietzsche beschrieben hat. Deswegen wagen sich die anderen Gefangenen auch nicht an Zio heran. Die Antworten auf seine Fragen, die Zio im Manifest niederschreibt, liegen daher für Zio auch nicht außerhalb des Gefängnisses, sondern innerhalb seines Geistes. Kim ist dagegen überzeugt, die Erlösung könne nur außerhalb des Gefängnisses gefunden werden, und beim Ausbruch verwendet er allein wissenschaftliche Methoden.

"The Chute" greift auch das Gefangenendilemma von A.W. Tucker auf. Dieses Dilemma handelt von zwei Gefangenen in zwei Zellen. Wenn sie kooperieren, können sie sich befreien. Sie können sich auch gegenseitig verraten, doch dann werden sie im Gefängnis bleiben. Wenn jedoch nur einer dem anderen in den Rücken fällt, kommt nur der Verräter frei. Was soll ein von Mißtrauen durchsetzter Gefangener tun?

Leider kam aber gerade das Gefangenendilemma in "The Chute" ein wenig zu kurz. Ein paar klischeehafte Faustkämpfe weniger, ein paar Szenen, in denen Harry zwischen Vertrauen und Mißtrauen hin und her schwankt mehr, und es hätte der Episode gut getan. Andere literarische Anspielung geben sich dann auch eher plump. So beschreibt der Romanklassiker "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque eine Szene, in der der schwerverwundete Kemmerich ohne Aussicht auf Rettung im Lazarett liegt und von Müller besucht wird. Müller ist voll ehrlicher Anteilnahme und denkt zugleich, daß er sich Kemmerichs neue Stiefel sichern muß, sobald Kemmerich gestorben ist. Die Existenzsicherung ist ein so mächtiger und nicht abschaltbarer Trieb, daß selbst die größte und ehrlichste Trauer diesen Trieb nicht unterdrücken kann. Leider ist dieser "Stiefelstreit" seitdem in unzähligen Büchern und Filmen auf einer so flachen Ebene und ohne die eigentliche Kernaussage in Remarques Roman wiederholt worden, daß es inzwischen zum Klischee geworden ist. Und leider hat auch "The Chute" nicht darauf verzichten wollen.

Das und die vielen Brutalitäten auf TV-Ebene sind letztlich auch der Grund, weshalb "The Chute" seinen eigenen, offenbar sehr hohen Ansprüchen nicht gerecht wird. Zu häufig verfällt die Episode in flache und reichlich brutale, dafür aber umso substanzlosere Actionunterhaltung. Enttäuschend ist auch das abrupte Ende der Beziehung Zio/Kim, die dringend einen abschließenden Dialog erfordert hätte.

Ein weiteres Problem ist, daß "The Chute" nicht so recht zu Star Trek paßt. Sehr vereinfachend betrachtet gibt es in der aussageorientierten Science Fiction zwei Kategorien. Die negative Zukunftsversion und die positive. Erstere findet man weitaus häufiger. Autoren wie Huxley oder Orwell haben es meisterhaft verstanden, interessante Aussagen über die Menschheit und das Individuum in einer negativen, erschreckenden Zukunftsvision aufzuzeigen. Leider aber haben negative Zukunftsversionen den Nachteil, daß sie sehr destruktiv sind. Sie zeigen uns, wie es nach Meinung des Autors nicht kommen soll oder darf, sie liefern aber kein positives Vorbild, das dem Leser vorführt, welches Verhalten nach Meinung des Autors nun das erstrebenswerte wäre. Als Roddenberry Star Trek entwickelte, griff er sehr bewußt zu der weitaus schwierigeren Variante: Mit einem idealistischen Weltbild zeigte er uns die Vorzüge von Toleranz und gegenseitigem Verständnis und sprach viele sehr philosophische Themen an, die er zugleich unterhaltsam, jedoch ohne Substanzverlust, in fesselnde Unterhaltung umsetzten ließ. Dieser Idealismus hat nichts, wie leider vielfach behauptet, mit Naivität oder blindem Fortschrittsoptimismus zu tun. Dieser Idealismus soll uns nicht weniger zum Nachdenken anregen als manche gar düstere Zukunftsversion, die nichts als Unheil prophezeit.

"The Chute" ist eine ausdrucksstarke Folge, aber sie benutzt ein übermäßig brutales Gesellschaftsbild, um ihre Aussagen zu treffen. Das paßt leider nicht zu Star Trek. Genauso würde ein idealistisches Weltbild in einer Verfilmung von "1984" stören. Und in einer Zeit, in der Star Trek immer mehr an Einschaltquoten einbüßt, sollten sich die Macher von Star Trek eher bemühen, wieder zu den idealistischen Wurzeln zurückzukehren, denn die sind es nun mal, die Star Trek populär gemacht haben. Die erschreckend niedrige Einschaltquote, die "The Chute" in den USA hatte, spricht eine deutliche Sprache.

Die Szenen außerhalb des Gefängnisses können leider allesamt nicht überzeugen. Aliens, die sich stur verhalten und Besatzungsmitglieder eines Schiffes der Sternenflotte ins Gefängnis werfen oder sonstwie bestrafen wollen, obwohl sie ganz offensichtlich unschuldig sind, das hatten wir nun wirklich schon zu oft in Star Trek. Janeway verhält sich in dieser Episode auch sehr fragwürdig. Mitleidlos bringt sie die Terroristen in ihre Gewalt und hat auch keine Skrupel, ein 14jähriges Mädchen an einen Terrorstaat auszuliefern, solange sie dadurch ihre eigenen Leute freibekommt. Das Angebot der Terroristen, Kim und Paris mit Gewalt zurückzuholen, lehnt sie aber ab, weil das gegen ihre Prinzipien verstoßen würde. Genau das hat sie aber zum Beispiel in der Folge "Resistance" (dt.: Die Resistance) getan, als sie Tuvok und Torres mit Gewalt aus dem Gefängnis holte. Und auch hier entschließt sie sich später genau zu diesem Schritt.

Besonderer Tiefpunkt ist die absolut unglaubwürdige Befreiungsaktion, bei der das Schiff von Neelix zum Einsatz kommen durfte. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Akritirianer so lange nichts gegen Neelix unternahmen.

Für die 47-Fans: Die Trilithiumbombe (dieses Trilithium scheint ein erstaunlich vielseitiges Material zu sein) verursachte 47 (!!!) Tote.

"The Chute" ist die erste Episode, die für die dritte Staffel produziert wurde. Alle bisherigen Episoden waren bereits im Rahmen der zweiten Staffel gedreht worden. Dann wurden sie aber zurückgehalten, damit der Start der neuen Staffel möglichst frühzeitig erfolgen konnte. Mitch Suskin, der zuvor für "Babylon 5" und "Hercules" gearbeitet hatte, ist ab der Episode "The Chute" Visual Effects Supervisor für "Star Trek - Voyager". Das Schiff von Neelix, das hier erstmals zu sehen war, sowie die Raumstation stammten komplett aus dem Computer. Die CGI-Effekte wurden von der Firma "Digital Muse" erstellt, die auch etliche Computereffekte für DS9 produziert.

Die Firma "Foundation Imaging" ist ab dieser Episode ebenfalls für viele Tricksequenzen in "Star Trek - Voyager" verantwortlich. In monatelanger Arbeit hatte "Digital Muse" das Modell der Voyager für den Computer eingescannt und immer wieder so viele Details und Lichteffekte hinzugefügt, bis am Ende wirklich kein Unterschied zwischen einer Voyager-Modellaufnahme und der Computer-Voyager zu erkennen war. Die fertig gescannte Computer-Voyager wurde ab dieser Episode von "Foundation Image" für die CGI-Effekte benutzt. Im Verlauf der dritten Season wurden gar keine Modellaufnahmen der Voyager mehr erstellt, alle Effekte im Zusammenhang mit der Voyager stammten von nun an aus dem Computer.

Regisseur Les Landau leistete großartige Arbeit. Die klaustrophobische Atmosphäre des Gefängnisses hat er perfekt eingefangen. Die Kampfszenen wirken aber eher unnötig breitgewalzt, sie bewegen sich leider auch auf ganz normalem TV-Niveau. Sie sind brutal genug, um zu verärgern, zugleich aber viel zu harmlos, um wirklich zu schockieren. Großartig inszeniert ist jedoch die Szene, als Kim langsam die Rutschbahn nach oben kriecht. Regisseur Les Landau verließ nach dieser Episode das Star Trek-Team. Er arbeitet in Zukunft für die Spielberg-Serie "High Incident". In "High Incident" wird viel mit der Handkamera gearbeitet, und um als Regisseur den Umgang damit zu üben hat Landau die Handkamera in "The Chute" auffallend häufig eingesetzt.

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Letztes Update:
19. Februar 1998

©1998 Thomas Höhl.