Inhalt:
An Bord der Enterprise befindet sich der Astrophysiker Stubbs, der ein wichtiges Experiment durchführen will, das nur zu einem genauen Zeitpunkt alle 196 Jahre möglich ist. Das Experiment droht aber zu misslingen, nachdem einige von Wesleys Naniten den Computer des Schiffes angreifen. Diese winzig kleinen Maschinen entkamen Wesley während eines Projektes, und nun ernähren sie sich vom Computer des Schiffes, in dem sie sich vermehren und verbessern. Die Situation spitzt sich zu, als Stubbs in blinder Zielstrebigkeit einige der Naniten tötet. Stubbs beweist aber damit auch gleich, dass die Naniten eine Art kollektiver Intelligenz entwickelt haben, denn die überlebenden Naniten greifen nun die Menschen an Bord des Schiffes an, indem sie auf die lebenserhaltenden Systeme zugreifen. Der Konflikt kann beigelegt werden, nachdem man einen Weg findet, mit den Naniten zu kommunizieren und sich gegenseitig zu erklären. Die Naniten werden auf einen unbewohnten Planeten umgesiedelt, wo sie Rohstoffe und Raum haben, und Stubbs Experiment kann pünktlich durchgeführt werden.
Kommentar:
"Evolution" ist eine der seltenen Episoden, die mich als Einzelarbeit nicht so sehr interessiert. Mich interessiert vielmehr, was sie für den Rest der Serie bedeutet. Dies ist die erste Episode, die von Michael Piller geschrieben wurde. Er übernahm zu Beginn der dritten Season die Leitung der Autoren und wurde zum vermutlich prägendsten Autor der Serie. Es gibt die allgemein bekannte Weisheit, dass "The Next Generation" erst ab der dritten Season von einer guten zu einer hervorragenden Serie wurde, und oft wird dies Piller zugeschrieben. Ich hielt dies eine Zeit lang für einen vereinfachenden Mythos. Während ich mir die Serie aber auf DVD erneut ansehe, erkenne ich, wie deutlich dieser Einschnitt ist. Besonders deutlich ist er deshalb, weil drei Episoden geschrieben wurden, bevor Piller die Leitung übernommen hatte: "The Ensigns of Command" (dt.: Die Macht der Paragraphen), "The Survivors" (dt.: Die Überlebenden auf Rana-Vier) und "Who Watches the Watchers" (dt.: Der Gott der Mintakaner). "Ensigns" ist eine gelungene Episode, mehr dazu in meinem nächsten Kommentar. Und auch "Survivors" und Watchers" sind keine missratenen Episoden (letztere halte ich sogar für brillant), aber diese beiden unterscheiden sich in einem entscheidenden Punkt vom Rest der Season: Es fehlt die Konzentration auf die Charaktere.
Dies ist Michael Pillers (erklärtes) Ziel: Die Erforschung der Charaktere der Geschichte. Sein Anspruch an eine Episode ist, dass sie von einer der Hauptfiguren der Serie handelt, und dass diese Figur während der Handlung eine Erfahrung macht. Dieser Ansatz ist in meinen Augen ursächlich für den Erfolg der "Next Generation", der nach wie vor alle anderen "Star Trek" Serien übertrifft. Ich bilde mir nicht ein zu wissen, weshalb genau die Episoden ab der dritten Season so viel besser werden. Aber ich bin überzeugt, dass diese Nähe zu den Figuren einen entscheidenden Beitrag leistet. Michael Piller ist dafür verantwortlich, dass die Serie nicht nur gutes "Star Trek" wurde, sondern gutes Fernsehen, gute Erzählung. Sie kann sich mit allem messen, sei es "ER", "Ally McBeal" oder sogar "Buffy - The Vampire Slayer" (noch drei Serien, die sich auf ihre Figuren konzentrieren). Es ist vielleicht bezeichnend, dass meine Erinnerungen an viele der Episoden die Charaktere betreffen, nicht eine Handlung. Ab der dritten Season wurden aus den Figuren dreidimensionale, beinahe tastbare Personen. Anders und etwas überzeichnet ausgedrückt: William Shatner spielte Captain Kirk, und Avery Brooks spielte Captain Sisko aber Patrick Stewart und Jean-Luc Picard sind beinahe zwei separate Einheiten, beide echt.
Hinzu kam später noch, dass Pillers Episoden auch jeweils ein Thema hatten, einen "Punkt", was nicht das gleiche ist wie eine Botschaft.
Letztlich sind es also Episoden von einer Figur und über ein Thema. Im Idealfall: Denn selbstverständlich sind nicht sämtliche Episoden gelungen. Beispielsweise konzentriert sich "The Price" (dt.: Der Barzanhandel) sehr wohl auf Troi, aber es kommt nicht sehr viel dabei heraus. Und "The Vengeance Factor" (dt.: Yuta, die letzte ihres Clans) ist in jeder Hinsicht misslungen.
Zudem gab es auch gute Episoden, die sich nicht an diese strengen "Piller Kriterien" hielten. Um ein paar Beispiele aus der fünften Season zu nennen: Die Horrorepisode "Power Play" (dt.: Ungebetene Gäste) oder die
einfallsreiche Folge "Cause and Effekt" (dt.: Déjà Vu). Doch auch diese Episoden verdanken ihre Stärke letztlich Piller, denn er hat unser Interesse für die Figuren geweckt, und so interessierten sie uns auch in Episoden, die weniger persönlich oder gehaltvoll waren als andere. Auf diese Weise lieferte Piller einen Kontext für Episoden mit mehr Interesse
an Action oder Abenteuer oder sonst einem der Genres, die in der Serie vertreten sind. Mag sein, dass Data in "A Fistful of Datas" (dt.: Eine Handvoll Datas) lange Zeit einfach herumalbert, aber es ist eben der gleiche Data, dessen Mühe mit einer Liebesbeziehung wir in "In Theory" (dt.: Datas erste Liebe) gesehen hatten.
Gleichermaßen gab es vor der dritten Season sehr gute Episoden, zum Teil solche, die auch unter Pillers Leitung hätten entstehen können, beispielsweise "The Emissary" (dt.: Klingonenbegegnung) oder "The Child" (dt.: Das Kind). Es ist also keineswegs so, als ob Piller die gute Erzählung erfunden hätte. Sein großer Beitrag ist vor allem die Konsequenz,
mit der die Episoden persönlich und gehaltvoll gestaltet wurden.
"Evolution" selbst erfüllt Pillers Kriterien keineswegs in jeder Hinsicht. Ja: Seine Konzentration auf die Figuren ist spürbar im Vergleich zu dem, was vorher kam, oder auch im Vergleich zu den drei Episoden der dritten Season, mit denen er nichts zu tun hatte. Dennoch: Nur in der Nebenhandlung
geht Piller auf Beverly und ihren Sohn ein. Ein großer Teil der
Aufmerksamkeit in "Evolution" gebührt dem Wissenschafter Stubbs, der keine Hauptfigur ist und nie mehr zu sehen sein wird. (Er ist allerdings der Katalysator von Wesleys Teil der Geschichte.) Ein klares Thema ist auch nicht auszumachen. Stubbs wird als nahezu Wahnsinniger gezeichnet, um Konflikt einzustreuen. Besser wäre es gewesen, den Konflikt natürlicher aus dem Thema der Episode fließen zu lassen (aber siehe unten). Dennoch ist es bereits eine klassische "Star Trek"-Geschichte, deren Konflikt am Ende beigelegt werden kann, indem die gegnerischen Parteien miteinander sprechen. Die Vernunft besiegt wieder einmal den Konflikt, so, wie es elegant gezeigt wurde in "Elementary, Dear Data" (dt.: Sherlock Data Holmes). Die Figuren, abgesehen von Stubbs, wirken vernünftig und im Gespräch intelligent. Der Respekt für die Interessen aller einzelnen Beteiligten ist spürbar: Picard nimmt sowohl Stubbs als auch die Naniten ernst. Letztlich können die Naniten sogar dabei helfen, Stubbs Experiment durchzuführen.
"Evolution" enthält eine bezeichnende Szene mit Stubbs, in der Stubbs und Troi darüber sprechen, die Fassade, die eingeübte Selbstdarstellung einer Person wegzureißen und zu sehen, was darunter liegt. Es hört sich nachträglich fast wie eine Absichtserklärung von Piller an. Es ist kein Wunder, dass Piller eine große Faszination für die Empathin Troi hat, die in der Serie fortan eine ständige, oft unauffällige Präsenz haben wird. (Während der ersten Season kamen sehr viele Episoden ohne sie aus oder wussten nichts mit ihr anzufangen.) Es ist auch kaum zufällig, dass Stubbs eine lange Rede über die "Erfüllung des eigenen Potenzials" hält. Dies ist ein zentrales Thema in "The Next Generation", einem Universum, in dem es den Figuren an nichts mangelt was außer der Selbstentfaltung könnte ihr Ziel sein? Die restlichen Jahre der "Next Generation" zeigen uns immer wieder Figuren, die sich selbst auf die eine oder andere Weise ausdrücken und weiterbringen wollen: intellektuell oder musisch, mit Interessen, die sie oft alleine oder auch in Gruppen verfolgen. Picard malt und musiziert, Riker und Beverly inszenieren Theaterstücke, Data beschäftigt sich mit Theater, Literatur und Musik, und so weiter. Es ist wohl wiederum kein Zufall, dass die vielleicht "unreifste" menschliche Figur der Serie, Reginald Barclay aus "Hollow Pursuits" (dt.: Der schüchterne Reginald), in der vierten Season seine Entwicklung fortsetzt; in "The Nth Degree" (dt.: Die Reise ins Ungewisse) beteiligt er sich sich an einer Theateraufführung.
Ursprünglich sollte es eine weitere Szene mit Wesley und seinen Freunden geben, in der Wesley zu beschäftigt war, um etwas mit ihnen zu unternehmen. Diese Szene fehlt rückblickend, da sie Wesleys Entwicklung in dieser Episode unterstrichen hätte: Er beginnt die Episode besessen von seiner Arbeit, genau gleich wie Stubbs, kann sich am Ende aber ein Stück weit davon lösen (und, so ist es angedeutet, Stubbs Schicksal vermeiden). Solche kleine Charakterbögen sind typisch für Piller. Ob beabsichtigt oder nicht, eine gewisse "Next Generation"-Philosophie zeichnet sich auch schon sehr deutlich ab. Für die Episode ist ein wichtiger Teil von Wesleys Entwicklung eigentlich das, was ihn, im Gegensatz zu Stubbs, bei Verstand hält die Integration in der Gruppe, der Austausch mit den Mitmenschen. Dies ist in der Serie ebenso zentral wie die oben genannte Selbstentfaltung. (Siehe dazu auch "Déjà Q".)
Auf der Suche nach Konflikt und Themen stießen Piller und seine Autoren während der dritten Season auf viele klassische Fragen. Eine Person stirbt, was geschieht nun mit ihrem Kind? Data hat ein Kind, was geschieht? Worf ist der einzige, der seinem Todfeind helfen kann, was tut er? Was bedeutet es für den allmächtigen Q, plötzlich Mensch zu sein? Die Serie begann hier auch das "politische" Umfeld der Serie auf eine so differenzierte Weise zu erforschen, wie es sie vorher nicht gab. Dies wird in den späteren Seasons noch mit großem Erfolg fortgesetzt. Die Romulaner kehren als Gegner zurück, und die gespannte Situation erinnert uns an den kalten Krieg. In "The Enemy" (dt.: Auf schmalem Grat) geht es darum, einen Krieg trotz der gespannten Lage nicht beginnen zu müssen: Es ist die Kuba Krise im Weltraum. Ähnlich verhält es sich in "The Defector" (dt.: Der Überläufer). Ein Teil der Qualität dieser Season beruht auf dieser Themenwahl. Und jedes einzelne dieser Themen wurde durch Michael Pillers Brille betrachtet: Wie betrifft es jemanden persönlich? (Es ist beispielsweise schwerlich ein Zufall, dass uns sowohl "Enemy" wie auch "Defector" erstmals in dreißig Jahren einen Einblick in die romulanische Psyche gaben.)
Während der dritten Season stellte Piller einen großen Teil des Autorenstabs zusammen, der den Rest der Serie mit ihm zusammen prägte. Bald lesen wir in den Credits vertraute Namen. Nach der vierten Season wird das Team komplett sein. Es sind Leute wie Ronald D. Moore, Ira Steven Behr und René Echevarria, in der vierten Season Jeri Taylor, Brannon Braga und Joe Menosky. Behr, Echevarria und Moore arbeiteten später für "Deep Space Nine"; Braga und Moore schrieben zwei der "Next Generation" Kinofilme und zuvor das Finale der Serie; Taylor und Braga waren große Einflüsse bei "Voyager".
Die dritte Season fühlt sich auch nach zwölf Jahren noch wie ein frischer Wind voller neuer Ideen an. Neben dem, was ich schon erwähnt habe, ist nun fast jede Episode darauf bedacht, eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen, die sie prägt. (Jedoch längst nicht im gleichen Extrem wie es später bei "Star Trek: Voyager" der Fall sein würde.) Viele der Episoden enthalten aufwändige Einlagen, die sich in der Erinnerung festsetzen: Ein Terroranschlag gegen die Enterprise in "The High Ground" (dt.: Terror auf Rutia-Vier), eine Jagd durch das ganze Schiff in "The Hunted" (dt.: Die Verfemten), und in der gleichen Episode eine Person, die sich gegen einen Transporterstrahl wehrt. Die Enterprise gerät in die Atmosphäre eines Planeten in "Déjà Q" (dt.: Nochmal Q) und Picard erscheint als Locutus in "The Best of Both Worlds" (dt.: In den Händen der Borg). Dies sind nur ein paar Beispiele für die vielen Momente der Season, die sich in der Erinnerung festklammern.
"Evolution" ist sicherlich nicht besser als sämtliche vorangehenden Episoden. In dieser einen Episode steckt jedoch bereits im Keim viel von dem, was aus der "Next Generation" im Verlauf der nächsten Jahre die beste "Star Trek" Serie machen wird und überhaupt eine der bisher besten Fernsehserien.
Bemerkenswertes:
"Evolution" wurde als Premiere der Season gezeigt, ursprünglich aber nach "The Ensigns of Command" gefilmt. Letzteres ist daher die neunundvierzigste gefilmte, aber die fünfzigste gezeigte Episode.
Erstmals in dieser Episode sind die neuen und entschieden eleganteren Uniformen zu sehen. (Allerdings noch nicht in ihrer endgültigen Fassung.) Sie haben einen neuen Kragen und bestehen (für die Männer) aus zwei Teilen. Die Uniformen kosteten $3000 pro Stück und wurden nach und nach eingeführt, hier für die Dienstgrade oberhalb des Ensigns. (Nemecek: "The Star Trek: The Next Generation Companion")
Wir erfahren in dieser Episode, dass Guinan viele Ehemänner und viele Kinder hat. (Es ist nicht ganz klar, ob sie die Ehemänner alle gleichzeitig oder einen nach dem anderen hatte.) Ein Kind wollte einige Jahrhunderte nicht auf sie hören ungewöhnlich für ein Volk von Zuhörern.
Wesley erwähnt, dass er Baseball kennt, was wir schon seit "Justice" (dt.: Das Gesetz der Edo) wissen. Er fügt hier hinzu, sein Vater habe ihm das Spiel beigebracht.
Wir sehen in dieser Episode aufnahmen von Data und Stubbs, während sie am Computer arbeiten. Dies vermittelt sehr subtil zwei Eindrücke: Erstens den, dass es sich hier tatsächlich um kompetente Profis handelt. Zweitens gibt es uns das Gefühl, der Computer funktioniere tatsächlich und die Figuren würden mit ihm interagieren. Beides ist wertvoll (und in neueren "Star Trek" Serien oft unterlassen), da es das Raumschiff realistisch und glaubwürdig macht.
Dr. Stubbs will die Naniten nicht als Lebensform anerkennen, wohl aber einen Virus. Vielleicht ist er in den Biowissenschaften nicht so bewandert?
Der Computer der Enterprise halluziniert ein Schiff der Borg. Die neue Gefahr wird nach "Peak Performance" (dt.: Galavorstellung) schon wieder erwähnt, was rückblickend bereits in Richtung von "The Best of Both Worlds" (dt.: In den Händen der Borg) zeigt.
Michael Piller baute in dieser Geschichte eine eigene große Leidenschaft ein, das Baseball. Es ist nicht das letzte Mal, in dieser Season folgt noch "The Most Toys" (dt.: Der Sammler). Er greift wieder drauf zurück im Pilotfilm von "Star Trek: Deep Space Nine", "Emissary" (dt.: Der Abgesandte).
Zitate:
"Number One, the bridge, such as it is, is yours." (Picard)
"A whole new era in astrophysics… postponed 196 years on account of rain."
Troi: "Your self-portrait is so practiced, so polished."
Stubbs: "Yes, isn't it, though?"
Troi: "It's stretched so thin the tension fills this room. And if you finally fail, I'm afraid it will snap."
Stubbs: "A good try, Counsellor. But sometimes when you reach beneath a man's self-portrait, as you so eloquently put it, deep down inside what you find is nothing at all."
Einschaltquoten (von Martin Seebacher):
Die US-Ersatausstrahlung-Ratings sind leider nicht bekannt, in der ersten Wiederholung erzielte sie jedoch ein gutes Rating von 9.7 und einen 4. Platz.
Im ZDF waren bei der Erstausstrahlung nur 560 000 Zuschauer dabei, bei der ersten Sat.1 Ausstrahlung (12.1.1994) waren es dagegen 1,35 Millionen bei 15% Marktanteil.
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